Was ist Open Science?
In der Wissenschaft dreht es sich oft um Details: Was genau passierte in der Studie? Welche Bilder sahen Versuchspersonen auf was für einem Bildschirm? Was war die Bildwiederholungsrate des Bildschirmes, und waren die Farben dabei mittels einer Maschine (z.B. Spektralphotometer) kalibriert? Wissenschaftliche Untersuchungen und ihre Befunde werden heutzutage in Zeitschriftenartikeln beschrieben. Es kommt nicht selten vor, dass darin eines der oben aufgeführten Details fehlt, in den Zusatzmaterialien nicht auffindbar ist, oder die Autor*innen nicht gefragt werden können, weil ihre E-Mail-Adresse nicht mehr aktuell ist. Wenn nun aber der Befund von genauso einem Detail abhängt, werden zukünftige Forschende Probleme haben, ihn zum Vorschein zu bringen. Auf dieser konkreten Ebene bedeutet Open Science für jede Person die Möglichkeit, im Rahmen von ethischen und legalen Einschränkungen (z.B. Anonymität), detaillierte Einsicht in den gesamten wissenschaftlichen Prozess der Erkenntnisgewinnung zu erhalten. Es sollte also genau beschrieben werden, wie die Untersuchung ablief, welche Materialien dafür verwendet wurden, welche Daten daraus resultierten, wie diese weiterverarbeitet und ausgewertet wurden, und schließlich, was daraus zu lernen ist.
Auf einer abstrakten Ebene meint Open Science einen höheren Grad an Offenheit und Transparenz in allen Facetten der Wissenschaft. Dazu gehören wie beschrieben Studienmaterialien (z.B. Fragebögen, Bilder, oder Videos), der wissenschaftliche Bericht, oder der Diskurs im Rahmen der Begutachtung wissenschaftlicher Berichte durch Kolleg*innen (Peer-Review). Aber auch auf der Ebene des wissenschaftlichen Systems (also Institutionen, Zeitschriften, und Gesetze in Bezug auf Wissenschaft) kann der Grad an Transparenz steigen: Beispielsweise gibt es Listen mit Zeitschriften, deren Artikel kostenlos online gelesen werden können (https://doaj.org). Schließlich kann mit Offenheit auch die Durchführung einer Konferenz im „hybriden Format”, also an einem bestimmten Ort, aber mit der Möglichkeit zur Online-Teilnahme angeboten werden, um Personen, die nicht anreisen (können) nicht auszuschließen, ihnen gegenüber also offen zu sein. Durch die höhere Transparenz soll die wissenschaftliche Qualität erhöht werden: Nur, was sich prüfen lässt, kann auch geprüft werden. Zuletzt besteht die Hoffnung des Transfers, also dass wissenschaftliche Befunde besser in die Praxis übertragen werden (Cole u. a. 2024). Open Science ist also ein Klammerbegriff für eine Vielzahl an Bemühungen, Wissenschaft und Forschung nachvollziehbar zu machen. Die Logik dahinter ist, dass man dem Wort einer Wissenschaftlerin oder eines Wissenschaftlers nicht glauben muss, sondern sich ohne große Mühe selbst von den Tatsachen überzeugen kann.
Insgesamt wird Open Science als Lösung für zahlreiche aktuelle, meist zusammenhängende Probleme verstanden, allen vorweg für das Problem, dass sich ungefähr 50% aller wissenschaftlichen Studien in der Psychologie nicht replizieren lassen (Open Science Collaboration 2015), also bei einer wiederholten Durchführung einer Studie andere Ergebnisse rauskommen. Fecher und Friesike (Fecher und Friesike (2014), S. 19) reden von fünf „schools of thought”, also Gemeinschaften mit unterschiedlichen Verständnissen, die verschiedene Ziele verfolgen: Infrastruktur (z.B. Plattformen zum Speichern oder Veröffentlichen von Forschungsmaterialien), Öffentlichkeit und Involvierung der Gesellschaft in den wissenschaftlichen Prozess (z.B. indem Bürger*innen an der Durchführung der Studie beteiligt werden; Citizen Science), Messbarkeit wissenschaftlichen Erfolgs (z.B. Alternativen zu häufig genutzten Kennzahlen wie dem Impact Factor), Demokratie (z.B. Zugang zum Wissen), und Pragmatismus (z.B. höhere Effizienz von Wissenschaften durch öffentliche Forschungsdaten). Eine Übersicht über Facetten von Open Science ist unten abgebildet. Genaue Schätzungen sind schwierig, grob lässt sich dennoch sagen: Sucht man sich eine zufällige sozialwissenschaftliche Studie aus einer Fachzeitschrift aus, führt sie nach wissenschaftlichem Goldstandard erneut aus, und prüft die dort getestete Hypothese ein weiteres Mal, dann ist die Wahrscheinlichkeit, zum selben Ergebnis zu kommen, so hoch, wie bei einem Münzwurf “Zahl” (vs. Kopf) zu erhalten. Damit teilweise verbundene Probleme sind Betrug bei wissenschaftlichen Publikationen (Gopalakrishna u. a. 2021), oder psychische Probleme bei Jungwissenschaftler*innen (Satinsky u. a. 2021).